Mai 10, 2018

Arbeitswelt 4.0

Vorschläge für die Arbeitswelt 4.0

Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitswelt rapide. Das glp lab stellt sieben Ideen vor, wie wir uns heute auf die Arbeitswelt von morgen vorbereiten können:

  • Neuen Arbeitsformen gerecht werden: Die Unterscheidung zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit ist im digitalen Zeitalter nicht mehr zeitgemäss und durch alternative (Zwischen-)Formen zu ersetzen oder zu ergänzen.
  • Weiterbildung fördern: Unter anderem mit einer Säule 3w (für Weiterbildung), «Lerncredits» oder der Einführung von Bildungsgutscheinen.
  • Weiterqualifizierungen erleichtern: Angebote entwickeln zur erleichterten Weiterqualifizierung aus Branchen, die von der Digitalisierung betroffen sind, in solche mit Fachkräftemangel.
  • Digitale Kompetenzen fördern: Programmieren lernen statt blosse Anwenderkenntnisse aneignen – bereits in der Primarschule.
  • Jahres- statt Wochenarbeitszeit für mehr zeitliche Arbeitsflexibilität.
  • Wissensaustausch durch flexible Arbeitsplätze innerhalb von Verwaltungen ermöglichen und fördern.
  • «Coworking Spaces» ermöglichen: Den Dorfplatz wiederbeleben durch die Umnutzung freistehender Gebäude in gemeinschaftlich genutzte Büroräume. In Berg- und Randregionen auch als Mittel gegen die Abwanderung und zur Reduktion des Pendelverkehrs.

Der Begriff “Arbeitswelt 4.0” leitet sich ab aus den Veränderungen rund um die vierte industrielle Revolution. Diese begann mit dem Durchbruch des Internets und führt zu einer immer stärkeren Verschmelzung von Industrie und Informatik, von Materiellem mit Virtuellem.
Die Arbeitswelt 4.0 ist Ausdruck ähnlich grundsätzlicher Veränderungen wie in der Industrie: Die physische und digitale Welt wachsen immer mehr zusammen. Durch neue Technologien und Datennutzung werden innovative Formen der Arbeitsorganisation und -prozesse möglich. Neben der Automatisierung von einfachen aber auch komplexen Tätigkeiten entstehen neue Berufe. Zudem hat sich der Lebenszyklus der Technologien verkürzt, Veränderungen werden zum Alltag, lebenslanges Lernen zur Gewohnheit.
In diesem «Policy Brief» schlägt das glp lab politische Massnahmen vor, damit wir möglichst gut auf den digitalen Wandel vorbereitet sind. Grundlage dafür waren Ideen, die von 60 Bürgerinnen und Bürgern in einer «Ideenküche» Ende November 2016 entwickelt wurden. Fünf Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben darauf im ersten Halbjahr 2017 die Ideen zum vorliegenden Policy Brief ausgearbeitet

Handlungsempfehlungen

Aus diesen Überlegungen ergeben sich für die Ebenen Arbeit, Wirtschaft und Bildung vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten für die Politik von heute.

1. Auf neue Arbeitsformen vorbereitet sein

Die meisten Erwerbstätigen arbeiten in der Schweiz nach wie vor in einem Angestelltenverhältnis .
Eindeutig zugenommen hat in der Schweiz die Zahl der Arbeitnehmenden mit mehreren Arbeitsverhältnissen. Laut einer Studie arbeiten in der Schweiz bereits heute ca. 25 % aller Berufstätigen in irgendeiner Form als Freelancer.
Neue Arbeitsformen wie Crowd- oder Clickworking haben sich noch nicht etabliert: Der Bundesrat schätzt den prozentualen Anteil der Personen, die bereits heute über eine Vermittlungs-Plattform arbeiten, als marginal ein.
In Grossbritannien hingegen gehen Schätzungen davon aus, dass bereits 4 % der Erwerbstätigen in der Gig Economy arbeiten . Zudem denken 12 % der Personen im Erwerbsalter, die bisher noch keine Gig Economy-Plattform genützt haben darüber nach, im nächsten Jahr eine solche auszuprobieren.
Im Zusammenhang mit dem Aufkommen von neuen Arbeitsformen und der steigenden Zahl von Freelancern stellt sich die Frage, ob die Unterscheidung zwischen selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit der mittlerweile viel bunteren Realität noch entspricht. Abgrenzungsprobleme (Stichwort Scheinselbständigkeit) dürften in Zukunft weiter zunehmen. Zum Status von Plattformarbeitenden herrscht zurzeit Rechtsunsicherheit: Entsprechende Gerichtsverfahren sind hängig .
Eine Möglichkeit zur besseren Regelung der Plattformarbeit ist die Schaffung eines neuen Status zwischen Selbständigkeit und Unselbständigkeit. Frankreich kennt einen solchen Zwischenstatus mit dem “portage salarial ”. In Grossbritannien wird zurzeit die Weiterentwicklung der Zwischenkategorie «worker» in den Status „abhängiger Auftragnehmer“ für Arbeitsverhältnisse, die über digitale Plattformen laufen, diskutiert . In Estland entwickeln die Behörden nach einem Pilotprojekt mit Uber einen E-Service für Online-Plattformen und deren Kunden, welcher die Steuerveranschlagung erleichtert. Dieser E-Service könnte auch für die Abrechnung der Sozialabgaben genützt werden.

Eine umfassende Lösung zur Regelung der verschiedenen Formen der Erwerbstätigkeit hat Volkswirtschaftsprofessorin Monika Bütler vorgeschlagen: Auf einem digitalen Tool sollen Unternehmen, Vermittler und Einzelpersonen ihre Sozialbeiträge eintragen. Die Berücksichtigung der entsprechenden Abzüge würde danach über die Steuererklärung erfolgen . Alle Arbeitsverhältnisse fallen damit unter die gleiche Regelung.
Eine solche universale Lösung ist der Variante mit einer neuen Zwischenform für Plattformarbeit grundsätzlich vorzuziehen, da die Einführung einer Zwischenform von «abhängigen Auftragnehmenden» neue Abgrenzungsschwierigkeiten verursachen wird.

Handlungsempfehlung: Neue Arbeitsformen gemeinsam entwickeln – Diskussion jetzt starten.
Der Bundesrat diskutiert und entwickelt verschiedene Varianten zur Anpassung des rechtlichen Rahmens von Arbeitsverhältnissen im digitalen Kontext im Austausch mit der Bevölkerung, der Wissenschaft und der Wirtschaft.
Neue Lösungsansätze werden in Pilotprojekten getestet.

2. In die Weiterbildung investieren

Lebenslange Bildung

Die digitale Revolution verändert den Arbeitsmarkt. Die klassischen Bildungswege zu durchlaufen reicht bereits heute oft nicht mehr aus, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen.
Mit der zunehmenden Digitalisierung dürften sich die Berufsanforderungen noch schneller wandeln.
Deshalb sollten organisatorische wie finanzielle Schranken für die Weiterqualifizierung möglichst abgebaut werden.

Handlungsempfehlung: Förderung der Weiterbildung

Der Bundesrat analysiert die Machbarkeit folgender Konzepte und erstattet Bericht:

  • Einführung einer Säule 3w für Weiterbildungen: Analog der Säule 3a können Personen im erwerbsfähigen Alter (nebst Erwerbstätigen bspw. auch Hausmänner für den Wiedereinstieg) jährlich einen bestimmten Betrag (bspw. CHF 3000) auf ein Säule-3w-Konto einzahlen. Dieses darf für Weiterbildungen und die Lebenshaltungskosten während einer Umschulungsphase bezogen werden. Wird das Kapital bis zum Pensionsalter nicht bezogen, kommt es dem Bildungssystem zu Gute.
  • Schweizer Fach- und Hochschulen stellen der Bevölkerung ein Kontingent an “Lerncredits” zur Verfügung, die für Bildungsangebote eingesetzt werden können.
  • Durchstarten statt Neu-starten: Neue Qualifikationen und Zertifikate sollen einfacher erworben werden können, indem Ausbildungen flexibler werden und vorhandene (praktische) Kompetenzen angerechnet werden können.

Wechsel zwischen den Branchen erleichtern

Einige Branchen sind von der Digitalisierung direkt betroffen und benötigen qualifiziertes Personal in neuen Bereichen. Andere Branchen, wie zum Beispiel das Gesundheitswesen, haben chronischen Fachkräftemangel. Hier muss eine Umqualifizierung erleichtert werden.
Die berufliche Grundausbildung oder Umschulungen gehören heute nicht zu den Kernaufgaben der Arbeitslosenversicherung. Stellensuchende können jedoch im Rahmen der sogenannten “speziellen Massnahmen” entsprechend unterstützt werden, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. 2012 hätten grundsätzlich 17 Prozent aller Stellensuchenden (21’000 Personen) diese Voraussetzungen erfüllt . Die begrenzten finanziellen Möglichkeiten der Arbeitslosenversicherung lassen es jedoch nicht zu, dass alle diese Personen von diesen Angeboten profitieren können

Handlungsempfehlung: Weiterqualifizierung von Berufstätigen aus Branchen, die von der Digitalisierung besonders betroffen sind.
In Branchen, in denen die Arbeitslosigkeit infolge der technologischen Entwicklung innerhalb eines Zeitraumes eine gewisse Schwelle überschreitet – z. B. 10 % (unter Berücksichtigung saisonaler Schwankungen) – werden Weiterqualifizierungen gefördert, damit ein möglichst reibungsloser Übertritt in Branchen mit Fachkräftemangel gelingen kann.
Diskutiert werden soll deshalb, ob die berufliche Weiterqualifizierung neu explizit zu den Kernaufgaben der Arbeitslosenversicherung zählt und deren Auftrag und Finanzierung ausgebaut werden muss. Eine andere Variante wäre die Finanzierung via Erwerbsersatzordnung, wobei im Gegenzug zur Finanzierung die WK-Einsätze sowie der Zivildienst verkürzt werden könnten.

3. Mehr Arbeitsflexibilität

Räumliche Arbeitsflexibilität fördern

Die Förderung von örtlich und zeitlich flexiblem Arbeiten entlastet die Infrastruktur und Umwelt und kommt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegen.
Bereits die Hälfte aller Beschäftigten in der Schweiz sind sogenannte «knowledge workers» . Diese Form des Arbeitens muss nicht zwingend in Unternehmen organisiert werden, sondern kann auch zu Hause oder am Wohnort der Arbeitnehmenden geschehen.
Periphere Regionen können profitieren: Pendler und Pendlerinnen müssten nicht mehr täglich im Stau stecken oder lange Zugfahrten zu Stosszeiten auf sich nehmen. Mehr Arbeitsort-Flexibilität ist somit auch ein Mittel gegen die Abwanderung aus Randregionen und gegen die zunehmende Verkehrsüberlastung.

Handlungsempfehlung: Den Dorfplatz wiederbeleben mit «Coworking Spaces»
Gemeinden könnten auf entsprechende private Initiativen hin leerstehende Gebäude wie Schulhäuser oder Feuerwehrdepots günstig zur Verfügung stellen. Der Bund kann solche Projekte in Randregionen mit Geldern aus der NRP-Förderung unterstützen.
Für die Wiederbelebung des Dorfstandortes ist eine entsprechende digitale Infrastruktur notwendig. Der Ausbau der Netzwerk-Infrastruktur ermöglicht das optimale örtlich-ungebundene Arbeiten und sollte insbesondere auch in peripheren Gebieten rasch vorangetrieben werden.

Bund, Kantone und Gemeinden als Arbeitgeber
Einzelne Unternehmen wie beispielsweise die Axa Winterthur ermöglichen ihren Mitarbeitenden, in Coworking Spaces zu arbeiten. Diese Möglichkeit fördert den Wissensaustausch zwischen verschiedenen Unternehmen und entlastet die Infrastruktur durch weniger Pendlerverkehr.
Durch die flexibleren Arbeitsmodelle werden auch in der Verwaltung in Zukunft Büroflächen nicht mehr gleich intensiv genutzt werden. Dies bringt neue Möglichkeiten für deren Nutzung.

Handlungsempfehlung: Coworking auch innerhalb der Verwaltungen ermöglichen und so vom Wissensaustausch profitieren.
Verwaltungen ermöglichen in einem Teil ihrer Räumlichkeiten Coworking . Dadurch können einerseits leerstehende Räumlichkeiten besser genutzt werden. Andererseits profitiert die Verwaltung vom Wissensaustausch mit der Bevölkerung und der Privatwirtschaft – und umgekehrt.
Verwaltungsmitarbeitenden soll zudem ermöglicht werden, einen Teil ihrer Arbeitszeit in Coworking Spaces zu leisten.
Die “Work Smart Initiative” fördert flexibles und ortsunabhängiges Arbeiten. Nebst zahlreichen Unternehmen ist vor Kurzem auch der Bund als Arbeitgeber der Initiative beigetreten. Auch die Kantone und Gemeinden sollten als Zeichen ihrer Unterstützung für mehr Arbeitsflexibilität der Initiative beitreten.

Zeitliche Flexibilität ermöglichen

Einige Firmen und Organisationen sowie ihre Mitarbeitenden machen mit flexiblen Jahresarbeitszeitkonten und -vereinbarungen bereits gute Erfahrungen. Von diesen sollten wir lernen und Rahmenbedingungen schaffen, die eine weitere Verbreitung ermöglichten.
In Zukunft wird projektbezogene Arbeit noch wichtiger werden, sodass bestehende Regelungen nicht greifen bzw. sich ihre angedachte Wirkung nicht entfalten kann.

Handlungsempfehlung: Jahresarbeitszeit statt wöchentliche Höchstarbeitszeit
Unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes sind Regelungen wie bspw. zur wöchentlichen Höchstarbeitszeit flexibler zu gestalten.

4. Schule 4.0: digitale Schlüsselkompetenzen erlangen

Kreativität, soziale Intelligenz und ICT-Kenntnisse sind essenzielle Kompetenzen im digitalen Zeitalter . Diese Fähigkeiten sollten in der Schule gezielt gefördert werden. Das neue Fach Medien & Informatik im Lehrplan 21 ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn es um die Stärkung der ICT-Kenntnisse geht. Das Lernziel liegt allerdings noch zu stark auf der Aneignung von Anwenderkenntnissen. Kinder sollten auch Programmierkenntnisse erwerben, etwa im Rahmen des Mathematikunterrichts. Sie sollten verstehen, wie die Geräte und Programme, die sie zu bedienen wissen, funktionieren

Handlungsempfehlung: Programmieren geht über Studieren

Informatik wird in allen Kantonen ein reguläres Schulfach.
Ferner könnten die heute unterrichtsfreien Lehrer-Weiterbildungstage für Programmier-Projekte (bspw. Durchführung von «Mini-Schul-Hackatons») eingesetzt werden, um getreu dem Motto «Probieren geht über Studieren» Programmierkenntnisse spielerisch zu erlernen.

Zum ausführlichen Policy Brief

Grüssend heben das Reagenzglas – die Autor:innen

Simon Affentranger, Jurist

Anna Boffo, MA Politikwissenschaften, wissenschaftliche Mitarbeiterin

Corina Gredig, BA Politikwissenschaften, Geschäftsführerin glp lab

Simone Hofer, Ökonomin, freischaffende Redaktorin

Wolfgang Ruf, Dipl.-Hydrologe, wissenschaftlicher Mitarbeiter