Pandemie-Früherkennung: Lohnen sich Investitionen?

Eine neue Studie kommt zum Schluss: Ja

Die COVID-19 Pandemie verursachte rund 14’000 Todesopfer und 30 Milliarden Franken Schulden allein auf Bundesebene. Die frühzeitige Beobachtung von Viren ist herausfordernd und verursacht Kosten. Ein Pandemie-Frühwarnsystem spart der Schweiz jedoch gemäss einer neuen Studie bis zu 30 Milliarden Franken. Sowohl die Viren-Entschlüsselung als auch das Abwassermonitoring sind daher für Erreger mit pandemischem Potenzial zu institutionalisieren.

1 Franken in die Pandemie-Früherkennung erzielt einen Nutzen von 4 bis 129 Franken.

 

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Gegenstand der Studie: Viren im Abwasser beobachten und entschlüsseln

Die Studie evaluiert die folgenden Optionen zugunsten eines institutionalisierten
Pandemie-Frühwarnsystems:

  • Kontinuierliche Überwachung von 5 Erregern mit dem grössten Pandemie-Potential in 50 Abwasserreinigungsanlagen sowie kurzfristige Skalierung auf 100 Anlagen im Pandemiefall in der gesamten Schweiz
  • Kontinuierliche Sequenzierung von 5 Erregern aus Spitälern, Gesundheitspraxen und Abwasser
  • Datenprozessierung, -management, -analyse & -interpretation für Massnahmenverordnung

Schnelles Handeln dank eines Pandemie-Frühwarnsystems verhindert Infektionen während einer ersten Infektionswelle markant.

 

Frühwarnsystem zur Beobachtung von Krankheitserregern

Quelle: Pour Demain

Kosten versus Nutzen der Viren-Früherkennung

Die Nutzen-Kosten-Analyse zeigt, dass sich Investitionen in die Früherkennung und Überwachung von übertragbaren Krankheiten mithilfe des Abwassers und der Sequenzierung lohnen.
Die Kosten für das regelmässige Abwassermonitoring und die laufende Sequenzierung von 5 Krankheitserregern betragen ausserhalb einer Pandemie rund 5 Millionen Franken pro Jahr.
Je nach Szenario ergibt sich demgegenüber ein Nutzen von bis zu rund 30 Milliarden Franken (extreme Pandemie). Bei einer COVID-19 ähnlichen Pandemie kann die Schweiz Verluste von einer Milliarde Franken und bei einer starken Pandemie rund 15 Mia. Franken verhindern. Bei einer COVID-19-ähnlichen Pandemie erzielt jeder investierte Franken einen Nutzen von rund 4 Franken, bei einer extremen Pandemie bis zu 129 Franken.

 

Kosten – Nutzen Verhältnis

Quelle: Pour Demain

Schweiz: Viren-Feuermelder bauen? Voraussetzungen vorhanden

Ein Pandemie-Frühwarnsystem ist mit einem Feuermelder oder einem Lawinenbericht vergleichbar. Die Schweiz hat dank ihrer Fortschritte im Zuge der Bewältigung von COVID-19 ausgezeichnete Voraussetzungen, um künftige Epidemien und Pandemien frühzeitig einzudämmen – das Abwassermonitoring und die Viren-Entschlüsselung sind technisch umsetzbar. 

Die Schweiz kann das problematische Muster von Panik zu Beginn einer Pandemie und Vernachlässigung nach Ende der Pandemie vermeiden. Dazu braucht es längerfristige Investitionen.

Wir haben es selbst in der Hand. Bauen wir in der Schweiz gemeinsam einen Viren-Feuermelder. Künftige Generationen werden uns dankbar sein.

 

Und die Politik?

Mit 14’000 Todesopfern in der Schweiz und 30 Milliarden Franken Schulden auf Bundesebene hat die COVID-19-Pandemie die Wichtigkeit verdeutlicht, die menschlichen und wirtschaftlichen Verluste bei einer künftigen Pandemie zu verringern. Die nächste Pandemie ist nur eine Frage der Zeit. Die Studie empfiehlt daher: 

  • Abwassermonitoring institutionalisieren: Die Überwachung von übertragbaren Krankheiten mithilfe des Abwassers ist auf weitere Erreger zu erweitern und langfristig sicherzustellen.  
  • Entschlüsselung von Erregern institutionalisieren: Proben von Erregern mit pandemischem Potenzial sind kontinuierlich zu sequenzieren. 

Die Abstimmung über ein entsprechendes Postulat ist für die Mai-Sondersession 2023 geplant. Inwiefern die Viren-Entschlüsselung institutionalisiert wird, ist leider noch unklar. Die für Sommer 2023 geplante Vernehmlassung des revidierten Epidemiengesetzes bietet die Möglichkeit, weitere Weichen zu stellen. Wichtig dabei ist, dass zwischen jetzt und Inkrafttreten des neuen Gesetzes keine mehrjährige Lücke in der Viren-Überwachung entsteht.

 

Vielseitiges Dispositiv zur Pandemieabwehr notwendig

Klar ist auch: Ein institutionalisiertes Früherkennungssystem für Pandemien ist nur eines von mehreren Instrumenten (siehe Empfehlungen von Pour Demain), die zur Eindämmung von Epidemien und Pandemien benötigt werden. Das zeigt z.B. der fehlende Zugang der Schweiz zum Early Warning and Response System (EWRS) der EU: Die Viren-Überwachung ist in der Schweiz ohne Kenntnisse der epidemiologischen Daten der Nachbarländer eingeschränkt. Die Schweiz hat für den Umgang mit dem COVID-19 zwar temporären Zugang zum Warnsystem der EU erhalten, verfügt heute jedoch nur über einen begrenzten Zugang zu einzelnen Teilen des EU-Warnsystems. Zurzeit ist offen, wie lange dieser provisorische Zugang gewährt bleibt. Der Bundesrat findet klare Worte in der Beantwortung einer Interpellation der GLP: Für die Schweiz ist es “von entscheidender Bedeutung, einen normalen, uneingeschränkten Zugang zu erhalten, und zwar nicht nur zum EWRS, sondern auch zum European Centre for Disease Prevention and Control und zu allen von diesem betriebenen Überwachungsnetzen”

Um die Schweiz vor der nächsten Pandemie sicherer zu machen, bleibt noch viel zu tun.

 

Hier geht’s zur Studie: pourdemain.ch/blog

 

 


Laurent Bächler, Programmbeauftragter Biosicherheit Pour Demain

 

 

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