1. Ziel und Aufbau
Ziel der Veranstaltung war es, eine offene, evidenzbasierte Diskussion über die Grüne Gentechnik in der Schweiz zu führen, insbesondere das Spezialgesetz zu “Neuen Züchtungsmethoden”. Dabei standen sowohl politische, ethische als auch systemische Fragen im Zentrum. Nach einem einführenden Vortrag und der Präsentation der Ergebnisse unserer glp lab Newsletter Umfrage wurden an einem runden Tisch zentrale Fragen diskutiert.
👉 Hier kannst du den Abschlussbericht als pfd herunterladen.
2. Zusammenfassung der Umfrageergebnisse zur Grünen Gentechnik
Im Vorfeld der Veranstaltung wurde im Rahmen des glp lab eine Online-Umfrage unter Newsletter-Abonnent:innen durchgeführt. Ziel war es, Einstellungen, Meinungen und Informationsbedarfe innerhalb der GLP zur Grünen Gentechnik besser zu verstehen.
Wichtiger Hinweis:
Die Teilnahme an der Umfrage war freiwillig und es haben 39 Personen aus der Lab Community teilgenommen. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, sondern zeigen lediglich ein Stimmungsbild der antwortenden Personen. Dieses ist prinzipiell deckungsgleich mit einer aktuellen Studie zur Haltung der Bevölkerung diesem Thema gegenüber (Studie Genom-Editierung, gfs.bern, September 2024).
Grundhaltung
- Gentechnisch hergestellte Medikamente finden eine breite Akzeptanz (37 von 39 positiv).
- Bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln ist die Zustimmung deutlich geringer.
- 30 von 39 würden gentechnisch veränderte pflanzliche Lebensmittel essen (teils mit Vorbehalten),
- 25 von 39 akzeptieren Fütterung mit Gentech-Futtermitteln,
- Nur 18 von 39 befürworten gentechnisch veränderte Tiere.
Züchtungsmethoden: Zustimmung vs. Ablehnung (dabei wurde explizit nicht informiert welche Methoden angewendet werden dürfen und welche nicht, es gab lediglich kurze Erklärungen zur jeweiligen Methode selbst)
- Sehr hohe Zustimmung für klassische Methoden (Kreuzung, Selektion) und auch für gezielte DNA-Änderungen im Labor (27 Stimmen).
- Mutagenese durch Chemikalien oder Strahlung wurde nur von 5 Teilnehmenden befürwortet.
Ziele gentechnischer Anwendungen (Top 3 Nennungen)
- Weniger Pestizideinsatz und Umweltschäden
- Klimaanpassung und Resilienz
- Ernährungssicherheit durch höhere Erträge
Hauptsorgen und Kritikpunkte (Top 3 Nennungen)
- Abhängigkeit von grossen Konzernen
- Unkontrollierte Ausbreitung mit unklaren Folgen
- Gefahr für Umwelt und Gesundheit
Informationswünsche für Veranstaltungen
Die Teilnehmenden wollten insbesondere mehr erfahren über:
- Kompatibilität mit Biolandbau
- Nutzen-Risiko-Abwägungen
- Technologien wie CRISPR/Cas9
- Gesetzliche Rahmenbedingungen
- Fallstudien und Missverständnisse
Freitextantworten: Spannungsfeld sichtbar
- Die „ideale Pflanze“ wurde meist beschrieben als ressourcenschonend, ertragreich, klimaresilient und gesund – mit teils kritischem Blick auf Konzerne und Patente.
- Einige Rückmeldungen zeigten tiefes Misstrauen gegenüber wirtschaftlichen Interessen und technologischem Fortschritt ohne ethische Regulierung.
- Andere forderten eine Versachlichung des Diskurses und mehr wissenschaftsbasierte Entscheidungen statt ideologischer Grabenkämpfe.
Fazit aus der Umfrage
Die Umfrage bestätigt, dass die Grüne Gentechnik stark polarisiert, gleichzeitig aber differenzierte und reflektierte Haltungen vorhanden sind.
Akzeptanz und Ablehnung hängen stark von der Methode, dem Ziel und dem gesellschaftlichen Kontext ab. Der Begriff „Natürlichkeit“ spielt dabei eine zentrale, aber uneinheitlich verstandene Rolle – ein Befund, der sich auch in der Diskussion während der Veranstaltung widerspiegelte.
3. Konsenspunkte und Dissenspunkte aus der Diskussion
Die Diskussion beschäftigte sich nicht ausschliesslich mit dem Thema Grüne Gentechnik sondern ebenso mit dem derzeit in der Vernehmlassung befindenden Gesetz über “Neue Züchtungstechnologien” welches sich diesem Thema annimmt.
I. Dissenspunkte (offene Kontroversen und Streitfragen)
- Begriff der Natürlichkeit: Die Definition von „natürlich“ ist stark umstritten. Für Befürworter ist gezielte Genom-Editierung eine konsequente Weiterentwicklung bestehender Methoden, für Kritiker hingegen ein Bruch mit natürlichen Kreisläufen, eine Quelle grundsätzlicher Risiken, die nicht ihrem (religiösen) Glauben entspricht.
- Ausgestaltung der Regulierung und des Vorsorgeprinzips: Während sich die meisten Beteiligten Regulierung wünschen, ist das „Wie“ hoch umstritten:
- Befürworter fordern innovationsfreundliche, wissenschaftsbasierte und praxistaugliche Rahmenbedingungen, die nicht durch Überregulierung und Symbolpolitik blockiert werden.
- Gegner warnen vor einer Lockerung von Schutzstandards und sehen in zu viel Flexibilität eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit.
- Haftung und Langzeitfolgen: Die Klärung von Haftungsfragen – insbesondere bei unvorhergesehenen Langzeitfolgen oder bei Verlust des ursprünglich deklarierten Mehrwerts – ist umstritten. Befürworter wünschen sich eine ausgewogene, innovationsfördernde Lösung; Kritiker sehen die Gefahr, dass die Risiken auf Landwirte oder Konsumenten abgewälzt werden.
- Handelshürden und internationale Anschlussfähigkeit: Befürworter kritisieren zu hohe regulatorische Anforderungen, die vor allem kleine und innovative Akteure benachteiligen und die Schweiz im internationalen Wettbewerb zurückwerfen könnten. Kritiker hingegen betonen die Notwendigkeit hoher Standards und sehen Risiken, falls die Schweiz sich zu sehr am Ausland orientiert. Es wurde darüber diskutiert, dass unterschiedliche Regulierungen in der EU und der Schweiz zu einem Importstopp von Saatgut und Nahrungsmitteln aus der EU in die Schweiz führen könnte.
- Mehrwert-Kriterium und dessen Auslegung: Während die meisten eine Nutzenabwägung fordern, wird das „Mehrwert“-Kriterium unterschiedlich interpretiert:
- Befürworter möchten auch schrittweise, qualitative und langfristige Verbesserungen als Mehrwert anerkennen.
- Kritiker fürchten, dass eine zu grosszügige Definition dieses Begriffs zu unkontrollierter Ausbreitung und sinkenden Schutzstandards führen könnte.
- Kennzeichnung und Transparenz: Kennzeichnungspflichten werden von beiden Seiten als wichtig betrachtet, aber die konkrete Ausgestaltung ist umstritten:
- Befürworter wollen eine Kennzeichnung, die sich auf klar nachweisbare, für Konsument:innen relevante Eigenschaften beschränkt und praktikabel sowie verhältnismässig ist.
- Kritiker fordern strenge, weitreichende Kennzeichnungspflichten, um Wahlfreiheit und Verbraucherschutz zu gewährleisten – Es bestehen Sorgen um Kontamination und Glaubwürdigkeit von Labels.
II. Konsenspunkte (überwiegende Einigkeit und Mehrheitsmeinungen)
- Notwendigkeit einer nachhaltigen Landwirtschaft: Sowohl Befürworter als auch Kritiker sind sich einig, dass die Schweizer Landwirtschaft nachhaltiger und resilienter werden muss, um den Herausforderungen von Klima, Ressourcenknappheit und Biodiversitätsverlust zu begegnen. Themen wie Bodengesundheit, Biodiversität, Klimaanpassung wurden mehrfach angesprochen, wobei klar wurde, dass Gentechnik nur ein Teil eines grösseren Ganzen ist – weder Allheilmittel noch Teufelswerk.
- Ablehnung von Monopolbildung und Abhängigkeit: Es besteht Konsens, dass die Abhängigkeit von wenigen Grosskonzernen (insbesondere bei Saatgut und Pflanzenschutzmitteln) problematisch ist. Offenheit für Wettbewerb und Innovation wird grundsätzlich begrüsst, solange faire Rahmenbedingungen für kleinere Anbieter gewahrt bleiben.
- Wunsch nach transparenter Regulierung und demokratischer Kontrolle: Es besteht breite Einigkeit, dass Regulierung Vertrauen schaffen muss und demokratisch legitimiert sein sollte – insbesondere bei so sensiblen Themen wie Gentechnik. Transparenz und Nachvollziehbarkeit in Entscheidungsprozessen werden eingefordert. Beide Seiten hinterfragten, ob, wie im neuen Gesetz vorgesehen, eine weniger demokratische Bundesrätliche Verordnung das richtige Mittel ist, oder ob es eher demokratisch verankerte Prinzipien bräuchte (z. B. zum Vorsorgeprinzip)? Diskutiert wurde auch kurz darüber, ob die Verfassung in ihrer aktuellen Form innovationshemmend sei und ob eine Revision nötig wäre.
- Koexistenz als Ziel: Die Koexistenz verschiedener Produktionsweisen (biologisch, konventionell, gentechnisch) wird von manchen Gegnern grundsätzlich befürwortet, auch wenn die Umsetzung kontrovers bleibt. Die Glaubwürdigkeit von Labels, die Nachweisbarkeit von Kontaminationen und die Schutzbedürfnisse verschiedener Gruppen sind wichtige Anliegen, müssen aber verhältnissmässig sein. Wärend eine Koexistenz ein gemeinsames Ziel sein kann, trennen sich die Haltungen beim Umfang wieder.
- Bedeutung von klaren Rahmenbedingungen für Innovation: Die Notwendigkeit, neue Technologien zu ermöglichen, aber Risiken zu minimieren, wird, auch von einigen Gegnern, als gemeinsames Ziel gesehen. Klare, verhältnismässige Regeln, die Innovation nicht blockieren und zugleich Sicherheit gewährleisten, sind für viele zentral.
Zusammenfassung
Die Debatte um Grüne Gentechnik in der Schweiz ist komplex und emotional aufgeladen. Es gibt aber beachtliche Schnittmengen in den Zielen: Nachhaltigkeit, Transparenz, Innovationsfähigkeit und demokratische Kontrolle sind Anliegen aller Seiten. Die Konflikte entstehen vor allem dort, wo Schutz und Ermöglichung neuer Technologien austariert werden müssen. Begriffe wie Natürlichkeit und Verhältnismässigkeit, die jeder für sich unterschiedlich definiert, bilden die eigentlichen Schwierigkeiten in dieser Diskussion treffend ab. Für eine erfolgreiche Gesetzgebung und gesellschaftliche Akzeptanz wird es entscheidend sein, diese Konsens- und Dissenspunkte transparent zu adressieren, über wissenschaftliche Fakten aufzuklären und tragfähige Kompromisse zu suchen.