September 2, 2018

Der Dorfplatz im 21. JH

Wie der Dorfplatz des 21. Jahrhunderts aussehen sollte

Die Digitalisierung, die Klimaveränderung und der demografische Wandel sind die grössten Veränderungen unserer Zeit. Sie bringen Chancen und Herausforderungen für Bergkantone.
Ziel des «Labor Grischun» ist es, Ideen zu identifizieren, wie in Graubünden die anstehenden Veränderungen im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung angepackt werden können.

Der Dorfplatz ist das Sinnbild für den Ort, wo die Gemeinschaft zusammenkommt, sich austauscht, handelt und zusammen die Zukunft gestaltet. Heute jedoch wirken viele Dorfplätze ausgestorben. Zum Arbeitsplatz wird gependelt, zum Posten ins Einkaufszentrum gefahren und kommuniziert wird über Social Media. Kann man den Dorfplatz als Ort des Austausches wiederbeleben? Wir denken: Ja. Gerade wenn man eine Nachhaltige Entwicklung – sowohl im gesellschaftlichen als auch im ökologischen und wirtschaftlichen Bereich – im Fokus hat, ist es wichtig, regionale Zusammenarbeit und Kooperation zu stärken. Und wenn man geschickt analog und digital verbindet, kann sich ein Dorfplatz 21, ein neuer Dorfplatz, angepasst an die Lebensverhältnisse im 21. Jahrhundert, entwickeln.
Wir entwerfen im Folgenden die Vision für diesen neuen Dorfplatz. Und skizzieren anschliessend Vorschläge, wie diesem politisch auf die Sprünge geholfen wird.

Zum Ideenpapier

Mit der Idee «Dorfplatz 21» an den Ideenwettbewerb Wunsch-Schloss

Mit der Gründung des «Labor Grischun» als Ableger des glp Lab’s im Kanton Graubünden im November 2017 entstand das erste Ideenpapier «Der Dorfplatz im 21. Jahrhundert». Darin wird ein Konzept gezeichnet, welches die Digitalisierung für die Stärkung der Regionen nützt. Die Strukturen des Dorfes werden an die Lebensverhältnisse des 21. Jahrhunderts angepasst und im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes werden das analoge und virtuelle Dorfleben miteinander verbunden. Damit wird der Vereinsamung und Abwanderung in die Städte entgegengewirkt, das Gemeinschaftsgefühl in der Region gestärkt sowie Arbeitsplatz und Naherholungsraum vernetzt.

Géraldine Danuser, Projektleiterin des «Labor Grischun», konnte die Idee «Dorfplatz 21» im Finale des Ideenwettbewerbs Wunsch-Schloss im Schloss Thun vorstellen. Bei dieser Gelegenheit konnte sie wertvolle Kontakte mit Personen aus Politik und Wirtschaft knüpfen, um den nächsten Schritt, die Vision in einer Pilotgemeinde umzusetzen, anzugehen

Vision Dorfplatz 21

Der Dorfplatz 21 ist das regionale Zentrum. Er bringt Arbeit, Familie und Freizeit wieder näher zusammen. Er besteht aus einem analogen und digitalen Teil.

Analog: Der Dorfplatz 21 ist das neue Dorfzentrum in einer bisher nicht mehr genutzten Liegenschaft im Dorfkern oder dem ehemaligen Schulhaus. Darin hat es Arbeitsplätze für kollaboratives Zusammenarbeiten (einen Co-Working Space), ein Café, eine Kita, den Gemeindeschalter, Dienstleistungen der Post und der Bank, einen Dorfladen, den Jugendtreff und einmal die Woche ein mobiles “Gesundheits-Lab”.

Die Arbeitsplätze werden von Selbstständigen und partiell von einheimischen Pendlern genutzt, die so nicht die ganze Woche pendeln müssen. Durch den Anschluss an ein nationales Hub-Netz wird ein Teil der Arbeitsplätze von “Arbeitsplatztouristen” aus dem Unterland und Startup-Unternehmen gebraucht, die im Bündnerland Ruhe und Inspiration suchen. Vereine können die Räume günstig über ein digitales Tool mieten. Der Dorfplatz 21 ist damit auch ein Platz des kulturellen Austausches und Erlebens.

Digital: Ein digitaler Dorfplatz sorgt für Vernetzung und Kommunikation auf lokaler Ebene und stärkt damit den Dialog und die Bürgerbeteiligung in den Gemeinden. Er funktioniert quasi als “Dorf-Facebook”. Nebst praktischen Funktionen wie die eines Marktplatzes, eines Forums für Fahrgemeinschaften oder einer Tauschplattform können Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen und Ideen niederschwellig online einreichen und mit anderen Mitbürgerinnen und Mitbürgern und der Verwaltung diskutieren.

Fehlende Verkehrsanbindungen sind kein Hindernis mehr für das Leben in den Dörfern: Auf dem digitalen Dorfplatz hat sich eine Art “Dorf-Uber” mit pensionierten Fahrerinnen und Fahrern gebildet. Senile Bettflucht ist kein Malus mehr, vielmehr freuen sich Jugendliche, dass sie auch noch um 4 Uhr morgens einen Transport zurück ins Dorf finden.

Im Gegenzug helfen sie den älteren Personen beim Einkauf und im Garten. Es hat sich eine Art “Zeitbörse” gebildet. Dadurch wird wieder mehr Freiwilligenarbeit geleistet. Das Vereinsleben ist wieder vielfältiger, da die Administration der Vereine via digitalen Dorfplatz einfacher geworden ist. Lokale Veranstaltungen können direkt über den digitalen Dorfplatz erstellt werden und bieten der Gemeinde und Besuchern einen unkomplizierten Überblick.

Das bringt der Dorfplatz 21

Durch den Dorfplatz 21 wird das Gemeinschaftsgefühl in der Region gestärkt. Die Förderung von örtlich und zeitlich flexiblem Arbeiten entlastet die Infrastruktur und Umwelt und kommt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf entgegen. Wer lokal arbeitet, engagiert sich auch verstärkt lokal: Es interessieren sich wieder vermehrt Personen für ein Milizamt. Die Wirtschaft hat durch die Vernetzung mit der internationalen Startup-Szene in den Coworking-Spaces neue Impulse erhalten.

Nach dem Motto “global denken – regional handeln” wurde mehr Innovation ins Berggebiet gebracht. Flexible Arbeitsformen und das ortsunabhängige Arbeiten bringen neue Unternehmen nach Graubünden. Der Bevölkerungsrückgang in peripheren Regionen wurde dadurch gestoppt. Mehr Transparenz rund ums Geschehen im Dorf wird ermöglicht, was wiederum das Vertrauen in die Institutionen stärken kann.

Der Weg dahin – Ideen für politische Massnahmen

Relativ viele Gemeindegebäude stehen im Zuge der Gemeindefusionen leer. Das Amt für Wirtschaftsentwicklung erarbeitet ein Konzept, wie diese Gebäude Initiantinnen und Initianten (bspw. Village Office, Genossenschaft, lokale Initiativen) günstig zur Verfügung gestellt werden können, allenfalls flankierend unterstützt durch NRP-Beiträge des Bundes (im Sinne einer Starthilfe).

Gemeinden oder Regionen können ihren Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu einem digitalen Dorfplatz via einer virtuellen Plattform wie Crossiety.ch oder 2324.ch ermöglichen – allenfalls unterstützt durch kantonale Beiträge.

Unter dem Motto “das modernste Dorf der Schweiz” stellt sich ein Dorf als Pilotgemeinde für den “Dorfplatz 21” zur Verfügung.
Der Kanton erarbeitet eine “Third Place”-Strategie für “Arbeitsplatztouristen”, welche die Bündner Regionen als Refugium und Inspirationsort besuchen.

Aufbau eines Willkommenszentrums: Das Willkommenszentrum “Allegra” dient rückkehr- und zuzugsorientierten Familien als zentrale Anlaufstelle für erste Informationen und die Vermittlung von Ansprechpartner/innen zu allen familienrelevanten Themen. Ein Angebot ist zudem die “Doppelkarriere”-Suche: Bewirbt sich eine Fachkraft bei einem Bündner Unternehmen, so hilft das Willkommenszentrum bei der Stellensuche für den/die PartnerIn.

Die Nutzung der Digitalisierung in den Regionen soll auf nationaler Ebene als Schwerpunktthema der Neuen Regionalpolitik (NRP) definiert werden.

Ausblick/Fazit

Die Vision des Dorfplatzes 21 ist nicht nur ein Ideenkonstrukt, sondern kann konkret umgesetzt werden. Ein Weg dahin wurde im letzten Kapitel skizziert. Zudem existieren gewisse Elemente aus dem analogen und digitalen Dorfplatz bereits – zu nennen sind beispielsweise die Projekte “mia Engiadina”, “Village Office” und “Crossiety”.

Diese Erfahrungswerte gilt es zusammenzubringen und Synergien zu nutzen. Es ist an der Zeit, den Dorfplatz an die Lebensverhältnisse des 21. Jahrhunderts anzupassen und damit die Chancen unserer Zeit zu nutzen.

 

Grüssend heben das Reagenzglas – die Autorinnen

Géraldine Danuser, Corina Gredig und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Labor Grischun