Das Metaversum – Lösung oder Problem?

Das Metaversum – Lösung oder Problem?

Mit den Events rund ums Thema Metaversum hat die GLP dank des Einsatzes des glp labs frühzeitig einen Einblick in ein aktuelles Thema gegeben. Es ist sicherlich sinnvoll, sich auch mit solchen Hypes in einem frühen Stadium auseinanderzusetzen. Dieser Artikel befasst sich mit im Intro-Event angesprochenen Themen rund um das Metaversum und berührt einige damit zusammenhängende Fragestellungen.

Live hinter den Metaverse-Kulissen.

Der Vorläufer des Metaversums, Second Life, ist 2003 gestartet und wurde in den Nuller Jahren ebenfalls ein Mega-Hype. Auch dort konnte man – in einem zentralen System – bereits virtuelles Land „kaufen“ und bebauen. Wie von vielen bereits damals erwartet, kann man das als kapitale Fehlinvestition betrachten. Folgerichtig sind zahlreiche Grossprojekte inzwischen wieder aus Second Life verschwunden.

 

Wie authentisch soll ein Metaverse sein und was macht das mit den teilnehmenden Menschen?

Da sich virtuelle Welten häufig durch Schönfärberei auszeichnen, kann man sich gerade auch im Zusammenhang mit Politik durchaus Sorgen um die Authentizität realer Inhalte und deren Glaubwürdigkeit machen. Eine interessante Frage wäre, wie man dies Problem angehen könnte. Man vergleiche dazu etwa auch frühere Dystopien wie „Surrogates“. Darin wird auch der Verfall negiert. Letztlich bricht die künstliche Welt aber in sich zusammen.

Während des Intros gab es einen sehr interessanten Redebeitrag, ob durch die Limitierungen bei der Erstellung der Avatare wirklich alle Menschen korrekt abgebildet werden können, etwa auch mit ihren Handicaps. Durch die Wahl der Avatare kann man diese aber auch ganz absichtlich aussen vor lassen, um so potentielle Diskriminierungen zu vermeiden. Allerdings sollte sich jede Person selbstverständlich gemäss den eigenen Wünschen präsentieren können. Trifft man sich dann aber im realen Leben, sind gewisse Überraschungen vorprogrammiert. Viele haben dies bestimmt schon im Vergleich von Social Media-Profilen oder Flirtportalen zur Realität kennengelernt.

Eine weitere ethische Frage entstand durch den Hinweis darauf, dass man bereits verstorbene Personen mithilfe eines zu Lebzeiten erfolgten KI-Trainings ins Metaverse einfügen könne. Mit den heutigen Sprachmodellen wie etwa GPT-3 ist es insgesamt viel schwieriger geworden, automatisierte Kommunikation von der echter Personen zu unterscheiden. Es wird sich zeigen, inwiefern künstliche Charaktere von den Plattformen akzeptiert werden, und ob möglicherweise eine Kennzeichnung solcher Avatare als hilfreich wahrgenommen wird.

Dass rein virtuelle Charaktere dabei in Kommunikation und Interaktion vereinzelt als Ersatz für echte Personen angenommen werden, kennt man übrigens schon seit langer Zeit. Der Prototyp dazu war ELIZA aus den 1960er(!) Jahren. Spätestens seit Apples Siri kann man es als Massenphänomen ansehen, das dann auch in der Popkultur aufgegriffen wurde (etwa in Episode 5×14 der Serie Big Bang Theory).

A conversation with the ELIZA chatbot

Die gesprächige ELIZA.

 

 

 

 

 

 

 

Hohe Zugangshürden schaffen auf absehbare Zeit eine virtuelle Welt für die Oberschicht.

Darüber hinaus haben wir auch bei der Einführungsveranstaltung des glp labs („Intro“) schon festgestellt, dass die komplexe Technik selbst bei Laborbedingungen noch einige Tücken hat. Stellt man sich ein Metaverse als einen Ort für alle vor, dann sollte man sich auch dessen Zugangshürden ansehen. Für den Event wurde die Ausrüstung gestellt, doch im Alltag müssten alle Teilnehmenden selbst über einen schnellen Internetzugang, ein aktuelles Smartphone sowie Virtual Reality Technik (zur Zeit ab 450 CHF) verfügen und diese auch einrichten können.

Es stellt sich also die Frage, inwiefern das Metaverse eher als Ort für technikaffine und wohlhabende Menschen in Umgebungen mit guter Infrastruktur (d. h. insbesondere gesicherte Energieversorgung sowie stabiles und freies Internet) zu sehen ist. Man kann wohl davon ausgehen, dass zumindest in den nächsten Jahren nur die weltweite Oberschicht eine echte Chance auf Teilhabe haben wird.

VR-Brille mit Zubehör

VR-Brille mit Zubehör. Kann kaufen, wer das nötige Kleingeld hat.

 

Das Metaversum sucht keine Bürger sondern Kunden.

Denkt man ganz allgemein an soziale Inklusion, so fällt auf, dass die bisherigen Lösungen hier wenig Unterstützung bieten. Die meisten Controller setzen voraus, dass man zumindest Arme und Hände sowie den Kopf frei bewegen kann. Zittrige oder gar fehlende Hände sind aktuell ein Hindernis.

Die VR-Brille selbst kann eigentlich nur mit gesunden und eher jungen Augen gut verwendet werden. Schärfenkorrekturen sind je nach Gerät durch normale Brillen, Linsen oder die VR-Brille selbst korrigierbar. Augenerkrankungen und Linseneintrübungen sowie ein eingeschränktes Gesichtsfeld lassen die VR-Erfahrung aber leiden. Zusätzlich kommt es bei einigen Personen zur VR- oder Simulator-Übelkeit, da die Sinneswahrnehmungen der verschiedenen Organe nicht zueinander passen. Betroffene Personen können entweder gar nicht oder nur mit häufigen Pausen an VR-Erfahrungen teilnehmen.

Ein reduziertes oder nicht vorhandenes Hörvermögen lässt sich noch am ehesten kompensieren (etwa durch automatische Untertitel, die schon in vielen Sprachen und sogar simultanübersetzt angeboten werden können). Auch das eigene gesprochene Wort kann man heute bei Bedarf schon durch andere Eingaben ersetzen und für andere wieder zu Sprache konvertieren.

Wer dennoch annimmt, dass ein Metaversum schon heutzutage problemlos auch von älteren oder wenig technikaffinen Personen angenommen wird, mag sich vielleicht noch daran erinnern, welche Herausforderung schon alleine die Bedienung eines Smartphones für die eigenen Grosseltern darstellt.

Meta unterstützt zur Inklusion sogar Forschungsprojekte. Insofern ist hier mittel- und langfristig mit Fortschritten zu rechnen. Für den Moment gilt allerdings, dass man am besten eher jung, gesund und zahlungskräftig sein sollte, um am Metaversum teilzunehmen. Es ist anzunehmen, dass dies aufgrund der angestrebten Monetarisierung auch die Hauptzielgruppe bleibt. Somit suchen die Plattformen statt einer möglichst breiten Bürgerbeteiligung vor allem Kunden, die als Zielgruppe für Werbetreibende und Handelnde die Plattformen bevölkern sollen.

Gerade in der Politik stellt sich dabei die Frage, ob eine gemeinsame virtuelle Welt doch eigentlich eher für alle wichtig ist.

Gute, alte Welt? So einfach ist es nicht.

 

Das Web3 hat nichts mit dem Web zu tun, wie wir es kennen und ist eine technische Lösung für ein Problem, das es nicht gibt.

Als Informatiker stockt mir allerdings bei einigen während des Intros aufgestellten Behauptungen der Atem. Das sogenannte Web3 hat überhaupt gar nichts mit dem bisherigen Web zu tun und sollte somit ganz klar nicht mit dem im Intro als Web2 bezeichneten bisherigen Web verglichen werden. Der Erfinder des WWW, Tim Berners-Lee, ist da sehr deutlich. Wer sich vertieft damit auseinandersetzen möchte, kann hier weiterlesen.

«The problem with blockchain is that it’s not an improvement to any system – and often makes things worse.»

Quelle: Bruce Schneier, 24. Juni 2022, Blogbeitrag

Die damit zusammenhängenden Themen Blockchain, Kryptowährungen, NFT usw. sind im Übrigen alles Lösungen für nicht vorhandene Probleme. Auch dazu gibt es bereits Kommentare hochrangiger Experten (vgl. den Blogbeitrag von Schneier: englischer Textdeutsche Fassung). Die Web3 Fraktion versucht nun, Probleme zu finden, die man nur damit lösen könne. Dies ist jedoch bis heute nicht gelungen.

 

Nachhaltigkeit und echter Mehrwert für die Gesellschaft entsteht nicht. Es geht vor allem um den Profit einiger weniger.

Was dabei gerade im Umfeld der GLP klargestellt werden sollte: Alle auf Blockchain aufbauenden dezentralen Technologien lösen keine existierenden Probleme, sind überhaupt nicht nachhaltig konzipiert und skalieren praktisch nicht. Dies gilt für Proof-of-Work und eben auch für Proof-of-Stake, das dann eben nicht mehr wirklich dezentral ist (weshalb der Einsatz von Blockchain an dieser Stelle noch sinnloser erscheint).

Dass nun virtuelle Gegenstände oder Grundstücke von unregulierten Gruppierungen oder Unternehmen als NFT zu echtem Geld gemacht werden, erinnert auch an die vielen ICOs, die oftmals fragwürdige digitale Währungen ohne jeden echten Wert unter gutgläubige Menschen brachten. Habt Ihr auch mitverfolgt, wie stark das schamlose Abkassieren in virtuellen Spielewelten inzwischen kritisiert wird? Auch hier tut sich bereits das Problem auf, dass man aufwendig und teuer erstellte Charaktere praktisch nirgendwohin mitnehmen kann und auf den reinen Goodwill des Betreibers angewiesen ist. Der dann eines Tages die Server abstellen wird. Die meisten Nutzer werden aber schon vorher auf neue Plattformen gewechselt sein und ihren alten Avatar ohne Rückvergütung zurückgelassen haben.

Im Ergebnis verbleibt ein etwaiger Profit bei einigen wenigen. Dies gilt sowohl für Web3 an sich wie auch für Metaverse-Plattformen. Es ist bezeichnend, dass gerade die ohnehin marktbeherrschenden US-Konzerne Meta (Facebook, Instagram, WhatsApp, u. a.) und Microsoft federführend an Metaversen arbeiten. Microsoft musste dabei temporär sogar auf Metas Plattform zurückgreifen, wird sich aber in Zukunft vermutlich eher der eigenen Plattform widmen. Wie interoperabel werden Meta und Microsoft diese Plattformen wohl gestalten, wenn man die Vergangenheit ihrer jeweiligen Ökosysteme berücksichtigt? Wir werden sehen.

The Golden Bitcoin in male Hands

Was macht Sinn? Was erfreut das Portemonnaie einiger Wenigen? ©Freepik.com

 

Augmented Reality hilft uns in der Realität, bleibt aber bislang eine Nische.

Im Intro wurde dann auch noch ein Zusammenhang zwischen Augmented Reality (AR) und dem Metaverse-Universum hergestellt. Das halte ich für eine sachlich eigentlich vollkommen unzulässige Vermischung. AR hatte nie die Absicht, die Realität zu ersetzen – es ging eben nur um das Anreichern ebendieser. Zudem wird hier nicht das Verstecken der Realität monetarisiert, sondern in der Regel eine Hilfestellung, die direkt in der realen Welt Anwendung findet. Hier kann man zum Beispiel für eine Bauplanung virtuelle Modelle in die reale Umgebung einfügen. Oder etwa bei Wartungsarbeiten Maschinenteile grafisch kennzeichnen. Man macht also genau das Gegenteil vom Metaverse: Anstatt die Realität zu virtualisieren, holt man temporär digitale Inhalte ins Bild, um die Realität besser handhaben oder verstehen zu können.

AR ist dabei erheblich älter als das Metaverse und auch nach wie vor nur in Nischen erfolgreich. Die Visionen, dass jede/r mit AR-Brillen durch die reale Welt wandert, haben sich nicht bewahrheitet und dafür gesorgt, dass die meisten AR-Brillen nie realisiert wurden.

 

Avatare werden den menschlichen Kontakt nicht ersetzen können.

Die These, dass sich in Zukunft etwa Mitgliederversammlungen oder Kundenberatungen als virtuelle Treffen im Metaverse abspielen werden, teile ich auch nicht. Klar, es wird mal für eine Weile ein Hype sein. Aber warum macht man sich ernsthaft Gedanken darum, wie genau man Mimik im Metaverse umsetzen kann, wenn wir bereits Videokonferenzen haben? Da wirkt das Gegenüber doch viel authentischer.

Erinnern wir uns in dem Zusammenhang vielleicht auch noch an die Prognosen, dass man in Zukunft auf reale Treffen verzichten könne. Es gehe ja auch nur mit Videokonferenzen. Und was sehen wir, seit man sich wieder mit anderen treffen oder gar reisen darf?

Ich freue mich auf Eure Meinungen und Kommentare.

 

 

Jens Hünerberg ist Diplom-Informatiker und berät mit seinem Unternehmen Grosskonzerne. Er ist Mitglied bei der GLP in Zürich.

 

 


Wir veröffentlichen interessante Gastbeiträge wie diesen, um der Vielfalt der Perspektiven zumindest im Ansatz gerecht zu werden. Die darin geäusserte Meinung muss sich nicht mit dieser des glp lab und der GLP decken.