März 3, 2018

Parteien & Transparenz

Schweizer Parteien & Transparenz: Bald „in a relationship“?

Im Gegensatz zu allen anderen westlichen Demokratien besitzt die Schweiz keine Regelung zur Offenlegung der Parteienfinanzierung. Ist diese fehlende Transparenz ein Gendefekt des Schweizer Politsystems, oder schlicht eine Notwendigkeit in einer direkten Demokratie mit Milizprinzip?

Dieses Papier präsentiert eine neue Lösung, die kein radikales Eingreifen in das fein austarierte Schweizer Politsystem erfordert: Die Offenlegung soll durch Anreize gesteuert werden.

Im Folgenden beschreibt dieses Papier die Ausgangslage in der Schweiz und fasst den aktuellen Stand der Diskussion rund um die Transparenzfrage zusammen. Anschliessend wird der zentrale Vorschlag “Anreiz statt Zwang” vorgestellt und ein Fazit gezogen.

Ausgangslage: Der Sonderfall Schweiz

Die Schweiz ist das einzige Mitglied des Europarates, welches keine Vorschriften zur Parteienfinanzierung kennt. Laut dem Bundesrat ist dieser Sonderfall mit den Eigenheiten des Schweizer Politsystems, konkret der direkten Demokratie und des Föderalismus, zu erklären. Aufgrund der häufigen Abstimmungen seien auf der politischen Bühne nicht nur die Parteien, sondern zahlreiche andere Akteure tätig. Eine einheitliche Regelung auf nationaler Ebene würde sich mit der föderalistischen Tradition beissen. Des Weiteren sei die Finanzierung der Parteien in der Wahrnehmung der Bevölkerung weitgehend Privatsache und der Finanzbedarf infolge des Milizsystems ohnehin bedeutend geringer.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage bei den sieben grössten Parteien ergab die gleichen Argumentationslinien: Die drei grossen bürgerlichen Parteien (mit einer Mehrheit im Parlament) führten primär das Milizsystem, die Privatsphäre der Spender und die eigenverantwortliche Tradition in der Schweiz als Gründe gegen eine transparente Finanzierung an. Befürchtet wird zudem ein hoher administrativer Aufwand einer Transparenzregelung. Das heutige System stärke aufgrund der parteiinternen Informationsbarrieren (nur die Parteispitze weiss über die Herkunft der Spenden Bescheid) sogar die Unabhängigkeit der Parlamentarier. Eine Offenlegung hätte zudem eine staatliche Parteienfinanzierung zur Folge, welche wiederum die Staatsfinanzen belasten würde.

Regelung auf kantonaler Ebene

In drei Kantonen (Neuenburg, Genf und Tessin) bestehen Offenlegungsbestimmungen. Im Kanton Genf sind politische Gruppierungen, die im Vorfeld von Abstimmungen eine Stellungnahme abgeben, verpflichtet, ihre Rechnung inklusive Herkunft von Spendengeldern jährlich offenzulegen. Anonyme Spenden sind verboten. Kommt eine politische Gruppierung der Offenlegungspflicht nicht nach, verliert sie als Sanktionsmassnahme allfällige bestehende Ansprüche auf staatliche Unterstützung.

Im Kanton Tessin sind politische Parteien und Bewegungen verpflichtet, der Staatskanzlei jährlich die Herkunft und den genauen Betrag von Spenden über CHF 10’000 offenzulegen. Die Angaben werden im Amtsblatt veröffentlicht. Eine Verletzung der Offenlegungspflicht führt zur ganzen oder teilweisen Streichung der Fraktionsbeiträge.

Im Kanton Neuenburg sind Transparenzbestimmungen im Jahr 2015 in Kraft getreten. Für im Grossrat vertretene politische Parteien ist die Offenlegung von Spenden über CHF 5’000 im Vorfeld von Wahlen und Volksabstimmungen Voraussetzung für eine staatliche Unterstützung.

Auf kantonaler Ebene wurden in den letzten Jahren in zwei Kantonen über Juso-Initiativen abgestimmt. Diese forderten die totale Transparenz: Alle Kandidierenden für öffentliche Ämter sollten sowohl ihr Einkommen als auch ihr Vermögen offenlegen.  Obwohl es sich inhaltlich um extreme Anliegen handelte und selbst SP-Politiker Mühe bekundeten, das Anliegen zu unterstützen, scheiterten die Initiativen mit 56.7 Prozent (BL) und 55.7 Prozent (AG) relativ knapp.

Diskussionsstand

Die Frage nach der Offenlegung von Finanzierungsquellen für politische Aktivitäten hat die eidgenössischen Räte wiederholt beschäftigt. Alle Vorschläge für mehr Transparenz wurden abgelehnt.

Kritik seitens internationaler Organisationen

Die Diskussion um die Politikfinanzierung hat sich in den letzten Jahren auch durch die internationale Kritik am Schweizer Vorgehen intensiviert.

Als Mitglied des Europarats unterzeichnete die Schweiz im Jahr 2003 die Empfehlungen gegen Korruption bei der Finanzierung von Parteien und Wahlkampagnen. Die für die Umsetzung zuständige Antikorruptionsbehörde GRECO (Group d’états contre la corruption) attestiert der Schweiz zwar eine stabile und lange demokratische Tradition, doch auch ohne öffentliche Finanzierung sei die Transparenz „von entscheidender Bedeutung“. Sie empfiehlt der Schweiz ein Bündel von Massnahmen, welches von Buchführungsregeln über Transparenzvorschriften bis hin zu Kontroll- und Sanktionsmechanismen reicht.

Da die Schweiz diesen Empfehlungen bisher nicht nachgekommen ist, befindet sie sich in einem Nichtkonformitätsverfahren.

Die OSZE/ODIHR-Mission empfahl der Schweiz nach den Wahlen 2011 die Einführung einer Offenlegungspflicht von Einnahmen, Finanzquellen und Ausgaben von Kandidaten- und Parteiwahlkämpfen zu prüfen und sich internationalen Standards anzupassen.

Transparency International begründet ihre Forderung nach einer transparenten Politikfinanzierung mit dem Recht des Stimmbürgers auf freie Willensbildung, aber auch mit der Korruptionsanfälligkeit intransparenter Systeme. Nur schon die Vermutung, dass politische Parteien von Geldgebern abhängig sind, vermindere das Vertrauen in das politische System.

Vorschläge von Bundesrätin Sommaruga

Aufgrund des GRECO-Berichts war die Parteienfinanzierung 2014 Thema bei den von Wattenwyl-Gesprächen.
Bundesrätin Sommaruga stellte zwei Varianten eines Parteienfinanzierungssystems zur Diskussion: Zum einen eine Variante mit einer freiwilligen Offenlegung, basierend auf einer von den Behörden zur Verfügung gestellten Online-Plattform, auf der die Wahlkampfbudgets und die Rechnung kandidierender Gruppierungen publiziert werden sollen.

Die zweite Variante „obligatorische Offenlegung“ sah eine Pflicht für Parteien (evtl. auch für Kandidierende) vor, ihre Rechnungen zu veröffentlichen, nicht aber die Veröffentlichung der Spendernamen; anonyme Spenden sollten weiterhin möglich sein.

Bei beiden Vorschlägen waren keine rechtlichen Sanktionen vorgesehen, Wirkungen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit erwartete die Bundesrätin via sozialem Druck seitens der Öffentlichkeit.

Die Vorschläge stiessen bei den Gesprächsteilnehmern (ausser bei der SP) nicht auf Anklang und wurden folglich auch nicht weiterverfolgt.

Vorschläge von universitärer Seite

Der Politikwissenschaftler Andreas Ladner schlug 2001 vor, eine leistungsabhängige Parteienfinanzierung (für politische Bildung, Nachwuchsförderung, Forschung), verbunden mit einer Offenlegungspflicht, einzuführen.
Angesichts dessen, dass selbst die relativ bescheidene Finanzierung der Jungparteien unter Beschuss ist[4], scheint die Forderung für eine staatliche Parteienfinanzierung momentan nicht angemessen.

Die Rechtsprofessorin Martina Caroni schlug vor, statt Transparenz alle Spenden über einen blinden Fond abzuwickeln, welcher dann die Spenden an die Parteien und Kampagnen anonymisiert weiter verteilen würde.[1] Dieser soll es ermöglichen, Politik unabhängig von Geldgebern zu gestalten.

Dies hätte aber den Nachteil, dass weiterhin keine Transparenz über die Herkunft der Gelder bestünde. Die Kommunikation zwischen Spendern und Empfängern zu verbieten, scheint zudem nicht sonderlich praktikabel.

Einen weiteren Vorschlag machte der Korruptionsexperte Tiziano Balmelli in der juristischen Fachzeitschrift «Plädoyer» 2011: Die starke mediale Ausweitung der Wahl- und Abstimmungskampagnen führe dazu, dass die Chancengleichheit zwischen Parteien und Kandidierenden aufgebrochen werde. Das intensive Marketing greife mittlerweile zu stark in den öffentlichen Diskurs und die Konfrontation der Ideen ein. Damit seien Kernelemente für die freie Meinungsbildung der Wählenden in Gefahr.

Balmelli machte den Vorschlag, die Wahlkampfausgaben gesetzlich zu plafonieren.

Beim nationalen Wahlkampf 2015 handelte es sich um den teuersten Wahlkampf aller Zeiten[2] – Balmellis Einwurf ist somit aktueller denn je.

Transparenzinitiative im Sammelstadium

Die Transparenzinitiative[3] fordert die Offenlegung der Finanzen von Parteien, Wahl- und Abstimmungskomitees. Die Parteien wären gemäss der Initiative verpflichtet, ihre Bilanz und Erfolgsrechnung gegenüber der Bundeskanzlei offenzulegen. Die Namen der natürlichen und juristischen Personen, die im vergangenen Jahr kumuliert mehr als 10’000 CHF gespendet haben, wären der Bundeskanzlei ebenfalls zu nennen.

Bei Wahl- oder Abstimmungskomitees sollen die Finanzen ab einem Gesamtaufwand von 100’000 CHF offengelegt werden. Auch hier wären die Namen der Spenderinnen und Spender, die insgesamt über 10’000 CHF investiert haben, zu nennen. Die Initiative befindet sich noch im Sammelstadium. Die Sammelfrist endet im Oktober 2017.

Unser Vorschlag: Anreiz statt Zwang

Das Transparenz-Anliegen geniesst eine grosse Unterstützung in der Bevölkerung. In Umfragen sprechen sich jeweils mehr als 75% der Befragten für eine transparentere Parteienfinanzierung aus.[1]

Auch wir sind der Ansicht: Die Wählerschaft hat Anspruch darauf zu wissen, wie sich die Politik finanziert. Zudem: Die globale Entwicklung hin zu mehr Transparenz bei Steuern und Finanzierungsfragen wird vor den Türen der Schweizer Parteien keinen Halt machen. Transparenz und Politik gehören im 21. Jahrhundert schlicht zusammen.

Gesucht sind Regeln, die einen sanften Übergang hin zu mehr Transparenz ermöglichen, damit das fein austarierte Schweizer System genügend Zeit hat, sich anzupassen.
Wir schlagen deshalb vor, in einem ersten Schritt auf Anreize statt auf Zwang zu setzen. Die Parteien sollen weiterhin selber entscheiden können, ob sie ihre Rechnung inklusive Spender (mit einer zu bestimmenden Freigrenze, bspw. die in der Transparenzinitiative genannten CHF 10’000) offenlegen – es werden aber von staatlicher Seite entsprechende Anreize für eine Offenlegung gesetzt.

Fraktionsbeiträge nur noch für transparente Parteien

Angelehnt an das Tessiner Modell sollen die Fraktionsbeiträge (jährlich CHF 6.7 Mio. auf nationaler Ebene) nur noch an die Fraktionen verteilt werden, deren dahinterstehende Parteien ihre Finanzen offenlegen.

Die Verwendung der Gelder steht dafür den Fraktionen frei: Sie können sie bspw. auch für Parteiaufgaben oder die Nachwuchsförderung einsetzen.

Das geltende Recht müsste um einen Passus ergänzt werden, welcher als zusätzliches Kriterium die Offenlegung der Rechnung als Voraussetzung für die Ausschüttung vorsieht.

Als zusätzlicher Anreiz zur Offenlegung werden die Gelder der Parteien, die nicht offenlegen, an die Transparenten ausgeschüttet. Eine Partei hat somit einen doppelten Anreiz, transparent zu werden: Mit Intransparenz würde unfreiwillig der politische Gegner unterstützt werden.

Verhalten sich nicht alle Parteien innerhalb einer Fraktionsgemeinschaft gleich (bspw. CVP-EVP-Fraktion), könnten bspw. die Gelder pro Kopf direkt an die transparenten Parteien innerhalb der Fraktion ausgeschüttet werden.

Um administrative Hürden abzubauen, soll der Bund ein Tool respektive eine Schnittstelle für die Buchhaltung zur Verfügung stellen (ähnlich Vorschlag Sommaruga). Die Buchführung der Parteien muss von einer unabhängigen Revisionsstelle überprüft werden.

Diese Transparenzbedingung könnte auch auf die Fraktionsbeiträge in den Kantonen, die noch keine Transparenzregelungen kennen, angewendet werden.

Weitere Anreiz-Ideen

Des Weiteren sind folgende Anreize auf nationaler, kantonaler respektive lokaler Ebene denkbar:

  • Steuerabzüge nur falls Partei “Transparenz-Gütesiegel” ausweist: Seit einigen Jahren sind Parteispenden steuerlich abzugsfähig. Die Allgemeinheit bezahlt folglich auch indirekt durch geringere Steuereinnahmen für Spenden an intransparente Parteien. Auch Hilfswerke müssen gewisse Kriterien erfüllen, damit die Spenden steuerlich abzugsfähig sind. Analog zu den Hilfswerken sollen neu nur noch Parteispenden an transparente Parteien steuerlich abzugsfähig sein.
  • Transparente Parteien erhalten Poleposition bei Wahlen: Listennummern werden bei Wahlen bislang aufgrund der Parteistärke verteilt. Ein möglicher Ansatz wäre, die ersten Listennummern künftig für diejenigen Parteien respektive Listen zu reservieren, die ihre Finanzierung im Voraus offenlegen.
  • Beilage in den Wahlcouverts: Parteien, die in der vergangenen Legislatur ihre Finanzen offengelegt haben, werden auf einem Beilageblatt erwähnt. Dieses enthält einen Link und QR-Code zum Online-Tool.
  • Gratis-Plakatstellen und -Wahlmaterialversand nur im Gegenzug für Transparenz: Auf lokaler Ebene könnten zudem Werbeflächen auf öffentlichem Grund nur noch an Parteien offeriert werden, welche ihre Finanzen offenlegen.

Ausblick

Bisher konnten die Forderungen nach mehr Transparenz stets mit dem Hinweis auf den Sonderfall Schweiz blockiert werden. Der Vorschlag, die Fraktionsbeiträge an die im Parlament vertretenen Parteien um das Kriterium Transparenz zu erweitern, ist einfach umsetzbar und verursacht keinen grossen Verwaltungsaufwand. Er ermöglicht erstmals mehr Transparenz, ohne auf einen Schlag tausende zumeist vollumfänglich ehrenamtlich organisierte Lokalparteien zu reglementieren.

Mit dieser Variante können erste Erfahrungen über die Praktikabilität von Transparenzvorschriften in einem direktdemokratischen Milizsystem gesammelt werden. Das Anreizsystem kann schrittweise auf kantonale Wahlen ausgeweitet werden. Es ist zu diskutieren, inwiefern ein Anreizsystem auch bei Abstimmungskampagnen zum Zuge kommen könnte.

Auch die grossen bürgerlichen Parteien, welche bisher dem Transparenzanliegen ablehnend gegenüberstanden, müssten einer solchen Anreiz-Variante mit voller Überzeugung zustimmen können. Denn: Wer staatliche Gelder bezieht, (bei der grössten bürgerlichen Partei jährlich über CHF 2 Millionen) wird mit dem Steuergeld des Stimmvolkes mitfinanziert. Und dieses spricht sich laut Umfragen sehr deutlich für mehr Transparenz aus.